Montag, 21. September 2009

Jetzt ist es amtlich!

Was wir bisher nur zu ahnen vermeinten — seit der Landtagswahl in Vorarlberg ist es amtlich bestätigt: die Österreicher sind ein Volk latenter Antisemiten. Wenigstens laut »Südkurier«, der den Menschen um den Bodensee die weite Welt erklärt — und u.a. auch, wie es geschehen konnte, daß die FPÖ im »Ländle« ein Viertel der Stimmen und Mandate bekam.

Schon der erste Absatz macht klar, worum es geht:

Nach einer Umfrage bezeichnen nur 16 Prozent der Befragten die Äußerung des FPÖ-Spitzenkandidaten in Vorarlberg gegen den Direktor des Jüdischen Museums, „der Exil-Jude aus Amerika solle sich nicht in die Innenpolitik einmischen“, als antisemitisch. 16 Prozent halten die Aussage für gerechtfertigt, 24 Prozent für nicht bedenklich. Ist das Ergebnis für Sie überraschend?

Wohl nicht, wenn eine Zeitung schon so fragt. Und die rechte (also will heißen: linke) Antwort gleich nachschiebt:
Man weiß, dass 20 bis 30 Prozent der Österreicher latent antisemitisch sind. 84 Prozent der Befragten qualifizieren die Aussage von Landesrat Egger nicht als antisemitisch. Dieses Ergebnis ist überraschend hoch.
Es ist schon etwas weniger überraschend hoch, wenn man bedenkt, von diesen 84 Prozent angeblich latent antisemitischen Österreichern bloß 40 Prozent (d.h. 16+24, s.o.) Eggers Aussage entweder für gerechtfertigt oder nicht bedenklich ansehen. Damit gibt es noch eine Gruppe von 44 Prozent, die zwar keinen antisemitischen Vorwurf in Eggers Satz sehen, diesen aber weder für gerechtfertigt halten und ihn auch nicht explizit als nicht-antisemitisch bezeichnen wollen. Mit anderen Worten: Leuten, denen der Satz einfach am Ohr (oder wo auch immer) vorbeigeht, und die die Nazikeule, die dafür flugs ausgepackt wurde, für doch ein etwas überdimensioniertes Kampfobjekt für derlei Quisquilien ansehen. Oder denen die ganze Aufregung einfach egal war.

Wer frei nach Christi Satz: »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich« in allen Fragen jeden, der nicht 100-prozentig auf zeitgeistiger Linie ist, bereits als Nazi bezeichnet, braucht sich nicht zu wundern, von lauter Nazis umgeben zu sein. Wenn auch nur in seiner eigenen Wahrnehmung. Aber auf die Idee, daß diese (ganz hypothetisch wollen wir es einmal annehmen) auch möglicherweise die Realität nicht ganz akurat abbildet, kommt ein Journalist, dessen Wirken und Schaffen doch nur auf die Darlegung der Wahrheit, der reinen Wahrheit und nichts als der Wahrheit zielt, einfach nicht. In anderen Berufen nennt man sowas: »Betriebsblindheit«.

Im Journalismus spricht man hingegen von »medialer Verantwortung« und verspricht sich, wenn man pathetisch zitiert: »Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar!« — es müßte nach der gängigen Praxis der Journalisten nämlich heißen: »... nicht zumutbar!«. Wer je eine Zeitung aufgeschlagen hat, weiß, daß Journalisten alles daran setzen, den Menschen möglichst keine Wahrheiten zuzumuten. Gelegentlich verirrt sich etwas dergleichen in die Leserbriefe und Online-Kommentare — aber im Artikel? Da seien Gott und »Der Spiegel« vor!

Aber, immerhin: der Südkurier ist vorsichtig (»... muß man vorsichtig sein ...«, so das wörtliche Zitat), jetzt einen Großteil der Vorarlberger als Antisemiten zu outen. Offenbar will man sich das Inseratengeschäft ja doch nicht ganz zusammenhauen, in Zeiten wie diesen ...

Deshalb ergeht man sich in beschwichtigenden Floskeln:

Es ist gibt ja keine allgemein verbindliche Definition von Antisemitismus. Dieses große Feld kann anscheinend antisemitische Vorurteilsstrukturen nicht eindeutig einordnen. Die Aussage von Dieter Egger spielt ja mit der Konnotation von eindeutig antisemitischen Klischees, aber es ist offensichtlich dem überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht klar, was verwerflich an dieser Aussage ist.

Uff, das war knapp! Aber noch einmal ist die Kurve gekratzt, der Spagat zwischen der einem Systemmedium obligatorischen FPÖ-Schelte und der Anzeigenabteilung ist, obzwar ächzend, gegrätscht. »Offensichtlich war ihnen halt nicht klar, wie verwerflich ...«

Ist jetzt eigentlich jeder ein Nazi, der sich angesichts dieser offensichtlich parteipolitisch motivierten Instrumentalisierung der Nazikeule fragt, was an Eggers Aussage denn so »verwerflich« gewesen sei, wenn der sich schlicht und einfach die naseweise Einmischung eines Ausländers in einen österreichischen Landtagswahlkampf verbeten hat?

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